Hard Facts - Menschenhandel

Menschenhandel, auch moderne Sklaverei genannt, scheint schon lange abgeschafft. Doch tatsächlich ist die geschätzte Anzahl der Menschen, die weltweit in Sklaverei leben, heute höher als je zuvor in der Geschichte. Damit du Bescheid weißt, wie es weltweit und auch in Deutschland hinsichtlich des Menschenhandels aussieht, haben wir hier einige „Hard Facts“ für dich zusammengetragen.


Menschenhandel besteht aus drei Merkmalen: Tathandlung, Tatmittel und Tatzweck.

Im Jahr 2000 wurde das Zusatzprotokoll zur „Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, zum Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität“ (kurz: Palermo-Protokoll) verabschiedet (BKA 2011). Es gilt als das erste und eines der wichtigsten völkerrechtlichen Abkommen, welches spezifisch auf die Bekämpfung des Menschenhandels ausgerichtet wurde (BKA 2011).

In diesem sogenannten Palermo-Protokoll wurde außerdem eine Begriffsbestimmung für „Menschenhandel“ festgelegt, welche drei miteinander verbundene Merkmale umfasst:

  • Tathandlung: z. B. Anwerbung, Beförderung, Beherbergung von Personen

  • Tatmittel: z. B. Anwendung von Entführung, Gewalt, Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit

  • Tatzweck: Ziel der Ausbeutung der Person, z. B. Ausnutzung der Prostitution, Zwangsarbeit, Organentnahme (UN 2005: 3)


Menschenhandel ist ein weltweites Phänomen, welches nach wie vor in jedem Land existiert.

Menschenhandel zählt „neben dem Drogen- und Waffenhandel zu den profitabelsten kriminellen Geschäften weltweit. Sowohl Europol als auch die Polizeibehörden vieler Mitgliedstaaten gehen davon aus, dass Menschenhandel das zurzeit am schnellsten wachsende kriminelle Gewerbe ist“ (García Schmidt 2008: 2). Im Jahr 2017 waren seriösen Schätzungen zufolge 40,3 Millionen Menschen Opfer der modernen Sklaverei (24,9 Mio. zum Zwecke der Arbeitskraft oder der sexuellen Ausbeutung und 15,4 Mio. in Zwangsehen) (ILO/IOM/Walk Free Foundation 2017: 8 f.). In West- und Zentraleuropa ist als meist dokumentierte Form des Menschenhandels zwischen 2012 und 2014 der Bereich der sexuellen Ausbeutung (67 %) zu verzeichnen. 30 % der Opfer wurden in der Zwangsarbeit ausgebeutet und 4 % für andere Zwecke (z. B. Ausbeutung der Betteltätigkeit, Zwangsverheiratung, etc.) (UNDOC 2016: 76). Der Menschenhandel ist ein äußerst lukratives Geschäft für die Täter*-innen: „Der jährliche Ertrag wird allein in der EU auf rund 25 Milliarden Euro geschätzt“ (BKA 2016: 5).


Jede und jeder in Deutschland profitiert von der Ausbeutung anderer Menschen.

„How many slaves work for you?“ – diese etwas makabre Frage wird auf der Startseite von Slaveryfootprint gestellt. Mithilfe einer umfangreichen Befragung kann diese Frage individuell beantwortet werden und schärft das Bewusstsein für den eigenen ausbeuterischen Konsum (Slaveryfootprint 2017). Auch das Konsumverhalten unserer Gesellschaft (Stichwort: Kaufrausch, Wegwerfgesellschaft, „Ware Mensch“), wollen wir kritisch hinterfragen. Unser Konsum hat zahlreiche negative Folgen für andere Menschen. Mit lightup wollen wir junge Menschen für die Zusammenhänge zwischen Angebot und Nachfrage sowie die Macht der Konsument*-innen sensibilisieren.


Deutschland ist ein Herkunfts-, Transit- und Zielland für Frauen, Kinder und Männer, die Opfer des Sex- und Arbeitshandels werden.

Dies ist eine der Feststellungen des Trafficking in Persons-Report, welcher jährlich von der US-Regierung veröffentlich wird (U. S. Government 2017: 181).

Das Bundeslagebild wird jährlich vom Bundeskriminalamt herausgegeben und stellt aktuelle Erkenntnisse zur Situation und Entwicklung von Menschenhandel in Deutschland vor. Die Daten basieren auf abgeschlossenen Ermittlungsverfahren der Landeskriminalämter, des Bundeskriminalamtes und der Bundespolizei.

Im Jahr 2018 wurden offiziell 430 Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ermittelt. Die festgestellten Opfer waren überwiegend weiblich (96%) und im Durchschnitt 23 Jahre alt, 68 von ihnen minderjährig. Die meisten Betroffenen waren deutsche (79 Personen), bulgarische (66), rumänische (63) sowie nigerianische oder ungarische Staatsangehörige. Es wird vermutet, dass die Anzahl der deutschen Opfer im Vergleich zu anderen Nationalitäten repräsentativer ist, da diese oft ein größeres Vertrauen zu Strafverfolgungsbehörden haben uns sich daher häufiger an diese wenden. Häufig wurden Opfer durch Täuschung in ein Zwangsverhältnis gebracht, in etwa jedem sechsten Fall durch die Loverboy-Methode. Rund 41% der Betroffenen waren die Täter bereits zuvor persönlich bekannt. Die Täter nutzten dabei häufig die prekäre wirtschaftliche oder persönliche Situation aus und wendeten meist massive psychische oder physische Gewalt sowie Drohungen gegen sie an.

Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft konnte in 63 Fällen festgestellt werden, vorwiegend im Baugewerbe und der Gastronomie. Hierbei waren die meisten Betroffenen männlich (85,7%) und kamen aus der Ukraine, Vietnam oder Ungarn. Opfer mit deutscher Staatsangehörigkeit wurden nicht festgestellt. Es wird davon ausgegangen, dass diese Daten nur einen geringen Teil der tatsächlichen Fallzahlen abbilden, da diese oft nur im Zuge von Zollkontrollen ermittelt werden können (BKA 2018).

Grundsätzlich ist im gesamten Bereich des Menschenhandels von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Die geringen Zahlen können unter anderem daher rühren, dass die strafrechtlichen Tatbestände im Hinblick auf Menschenhandel nur schwer in der Praxis nachzuweisen sind und man auf die Aussagebereitschaft der Betroffenen angewiesen ist, zu der viele Opfer nicht bereit sind. Daher wird häufig auch auf andere Straftatbestände ausgewichen. Außerdem sind sich einige Opfer ihrer Zwangslage nicht bewusst oder geben sich sogar selbst die Schuld an ihrer Situation (BKA 2016: 13).

Polizeistatistiken können daher höchstens die Spitze des Eisberges in Zahlen ausdrücken.


Es wird gerade für die minderjährigen deutschen Opfer vermehrt ein spezielles Vorgehen beobachtet: die sogenannte „Loverboy-Masche“

Dabei nimmt ein junger Mann zu meist jüngeren Mädchen Kontakt auf und spielt ihnen die große Liebe vor. Er manipuliert und isoliert sie von ihrem sozialen Umfeld und bringt sie in ein emotionales Abhängigkeitsverhältnis. Dieses nutzt er dann, um sie in die Prostitution zu führen und dort auszubeuten. Da sich die Mädchen aufgrund ihres Alters in einer Entwicklungsphase befinden, in der sie leicht zu manipulieren sind, sind sie sich häufig nicht bewusst, auf was sie sich mit der Prostitutionsausübung einlassen. Aufgrund der emotionalen Abhängigkeit können die Mädchen häufig die Ausbeutungssituation nicht erkennen (BKA 2016: 10). Verschiedene Experten/-innen berichten aus ihrer Praxiserfahrung, dass v. a. deutsche Opfer häufig von der Loverboy-Methode betroffen seien (Müller-Güldemeister 2011: 27). Auch das Internet spielt im Hinblick auf die Loverboy-Masche eine immer größere Rolle. In sozialen Netzwerken aber auch über Dating-Seiten nehmen die Loverboys gezielt Kontakt mit jungen Frauen auf (BKA 2017: 11).

In einem Interview mit Sandra Norak, einer Betroffenen der Loverboy-Masche, erklärt sie wie die Loverboy-Masche funktioniert, wieso sie nicht einfach gehen konnte und wieso sie bei ihrem Loverboy geblieben ist:
„Hinter dieser „Loverboy-Methode“ steckt eine psychologische Taktik. Im ersten Stadium wird Vertrauen aufgebaut. Hier gibt es die Prostitution meist nicht einmal als Gesprächsthema, sie ist schlicht nicht vorhanden. Erst im zweiten Stadium, wenn das Vertrauen geschaffen wurde, kommt sie ins Spiel, wo dann auch der Druck ausgeübt wird, dass man sich prostituieren soll. Die „Loverboy-Methode“ basiert auf seelischer Gewalt. Viele „Loverboys“ suggerieren den Opfern im zweiten Stadium, dass sie ohne deren finanzielle Unterstützung in Form der Prostitution, Gefahr laufen umgebracht zu werden, wenn sie ihre Schulden bei bestimmten Leuten nicht abbezahlen. Ist man einmal im „System Prostitution“ drin, kommt man nur schwer wieder raus. Das Gefühl von Liebe wandelt sich auch in Angst. Es kommt die Gewalt in der Prostitution hinzu, Unsicherheiten, Hoffnungslosigkeit – es entsteht eine große Leere und Einsamkeit. Man wird zu einer Marionette des Systems.

Das ganze Interview mit Sandra Norak kannst du hier nachlesen.


Quellen:

BKA (2011): Palermo-Protokoll und die Folgen Bekämpfung des „Menschenhandels zum Zweck sexueller Ausbeutung“. Zugriff am 24.09.2017 unter https://bit.ly/2rqmeQa.

BKA (2016): Bundeslagebild Menschenhandel 2015. Zugriff am 24.09.2017 unter http://bit.ly/2ruUNSr.

BKA (2019): Bundeslagebild Menschenhandel 2018. Zugriff am 22.05.2020 unter https://bit.ly/2M3NNJj.

García Schmidt, A. (2008): Menschenhandel: Europas neuer Schandfleck. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung.  

Müller-Güldemeister, S. (2011):  Expertise zum Thema Deutsche Betroffene von Menschenhandel. Zugriff am 24.09.2017 unter http://bit.ly/2leGn9h.

ILO/IOM/Walk Free Foundation (2017): Global estimates of modern slavery. Forced labour and forced marriage. Executive summary. Zugriff am 07.05.2018 unter https://bit.ly/2Bx2LBs.

Slaveryfootprint (2017): How many slaves work for you? Zugriff am 24.09.2017 unter http://slaveryfootprint.org/.

UN (2005): Palermo-Protokoll. Zugriff am 24.09.2017 unter http://bit.ly/1euMER9.

UNODC (2016): Global Report on trafficking in Persons. Zugriff am 07.05.2018 unter https://bit.ly/2jqIZ09.

U. S. Government (2017): Trafficking in Persons Report 2016. Zugriff am 07.05. 2018 unter https://bit.ly/2HV5NWs.